Die "Wiener Neudorfer Prozesse" in Dachau / Aufarbeitung der NS-Vergangenheit

Die wichtigsten Gerichtsverfahren wegen der KZ Mauthausen und den Außenlagern wie Guntramsdorf/Wiener Neudorf verübten Verbrechen fanden vor einem amerikanischen bzw. alliierten Militärgericht auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau statt.

Im Dachauer Hauptprozess gegen 61 Angeklagte (darunter 42 Deutsche und 12 Österreicher), durchgeführt von März bis Mai 1946, wurden 58 Angeklagte zum Tode und die übrigen drei zu lebenslang verurteilt. 49 Todesurteile wurden tatsächlich vollstreckt.

Zu den Vorfällen im KZ Guntramsdorf/Wiener Neudorf gab es nach dem Hauptprozess zwei gesonderte Folgeprozesse in Dachau und einen weiteren in Warschau, der bereits von einem unabhängigen polnischen Gerichten durchgeführt wurde. Der Wr. Neudorfer Lagerarzt Busch-Waldeck trat bei diesen drei Prozessen als Zeuge bzw. Gutachter auf.

Der so genannte "Wiener Neudorfer Kriegsverbrecherprozeß" in Dachau dauerte vom 17. April 1947 bis 24. Juni 1947. Dabei wurde insgesamt gegen 11 Mitglieder der SS-Wächter und der Luftwaffenbewachungsmannschaft aus Guntramsdorf / Wiener Neudorf verhandelt.

Zum Tode verurteilt und in Landsberg hingerichtet wurden:

Hauptmann Stier war beim so genannten Evakuierungsmarsch (siehe Protokoll Todesmarsch, 8. Marschtag) mit den Dokumenten der Lagerschreibstube und der Lagerkasse geflohen und hatte sich nach dem Krieg, als ehemaliger KZ-Häftling Moritz Heilbronner getarnt, eine Existenz als Studienrat an einer Münchner Schule erschlichen.

Der ehemalige Capo Peter Fruth war selbst nach dem Krieg noch höchst aktiv, um belastende Materialien gegen ihn und SS-Kameraden verschwinden zu lassen. Er gab sich als ehemaliger KZ-Häftling aus und schlich sich bei der Zentrale der US-Ermittlungsstelle für Kriegsverbrechen in Salzburg (War Crimes Investigating Team 6836 - WCIT) unter gefälschter Identität als Mitarbeiter ein. Dort vernichtete er eine große Anzahl von eingehenden, belastenden Dokumenten gegen ihn und andere Mörder aus Guntramsdorf/Wiener Neudorf. Busch-Waldeck enttarnte den Capo durch Zufall bei einem Besuch beim WCIT, nachdem seine an das Ermittlungsteam gesandten Unterlagen "am Postweg" verschwanden. Danach fand Busch-Waldeck auch Hauptmann Stier in München.

Der SS-Blockführer Lehnert konnte aus dem Wiener Gefangenenhaus fliehen und in Polen untertauchen. Dort wurde er jedoch verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Vor seiner eigenen Verurteilung und Hinrichtung erlangte der relativ unbedeutende, aber besonders grausame Wr. Neudorfer Blockführer Alois Höllriegel kurzzeitig Berühmtheit. Denn er trat im November 1945 unter großem Medieninteresse vor dem Internationalen Militärgerichtshof im ersten Nürnberger Prozess als Zeuge der Anklage auf. Er sagte im Verfahren gegen den Wiener Gauleiter Baldur von Schirach und den Leiter des Sicherheitsdienstes (SD) Ernst Kaltenbrunner aus. Als ehemaliger Wachmann im KZ Mauthausen, bestätigte Höllriegel die Existenz der Gaskammern sowie persönliche Inspektions-Besuche von von Schirach und Kaltenbrunner im KZ und den Gaskammern. Höllriegels Aussagen erregten damals großes Aufsehen und haben zur Verurteilung von Kaltenbrunner (Todesurteil) und von von Schirach (20 Jahre) wesentlich beigetragen.

Unverbesserliche Revisionisten behaupten bis heute – es gibt zahlreiche Webseiten dazu –, dass Höllriegels Aussage von damals der Anklage erpresst wurde und daher nicht der Wahrheit entsprach. Wenn auch nicht über die Existenz der Gaskammern, gelogen hat Höllriegel in Nürnberg jedenfalls. Er gab bei den Verhören an, von 1942 bis zum Kriegsende im Innendienst im KZ Mauthausen als einfacher Wachmann tätig gewesen zu sein. So versuchte er wahrscheinlich seine Morde im KZ-Nebenlager Guntramsdorf / Wiener Neudorf zu vertuschen. Für diese Taten wurde er jedoch nur eineinhalb Jahre später, in den bereits erwähnten "Dachauer Prozessen", aufgrund der Aussagen von Häftlingen aus dem KZ Guntramsdorf / Wiener Neudorf zur Rechenschaft gezogen.

Anfang der 1990er-Jahre fand im Landesgericht Duisburg ein Prozess gegen die im KZ Guntramsdorf / Wr. Neudorf tätigen SS-Hundeführer Bruno Blach und Dominik Gleba statt. Der österreichische Forscher und Universitätsdozent Bertrand Perz trat bei diesem Prozess, der sich ebenfalls zu einem Teil auf Unterlagen Busch-Waldecks stützte, als Gutachter auf.

Der gebürtige Pole Dominik Gleba war 1947 aus US-Kriegsgefangenschaft geflohen und hatte bis zu seiner Frühpensionierung 1981 bei der Ruhr-Chemie gearbeitet.

Der Sudetendeutsche Bruno Blach war 1956 als einfacher Wehrmachtsangehöriger getarnt in die USA emigriert. Er arbeitete bis zu seiner Pensionierung in einem Supermarkt in La Habra, Kalifornien. Er wurde 1990 wegen seiner früheren SS-Mitgliedschaft nach Deutschland ausgewiesen. 1993 wurde Gleba wegen Beihilfe zum Mord zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt (begangen beim "Evakuierungsmarsch" an einem nicht mehr gehfähigen Häftling).
Bruno Blach wurde im gleichen Prozeß jedoch "aus Mangel an Beweisen" freigesprochen.

In Österreich wären die beiden nicht angeklagt worden, wie mehrer Beispiele von aus den USA zurück nach Österreich ausgewiesenen SS-Angehörigen zeigen.

Österreich: Nur fünf Prozesse zum KZ Guntramsdorf/Wiener Neudorf

Viele der auch in den Waldeck-Protokollen beschriebenen Morde an Österreichern und Deutschen im KZ Guntramsdorf/Wiener Neudorf wurden nicht direkt gerichtlich geahndet sondern in den "Dachauer Prozessen" der Alliierten nur inoffiziell "mitverhandelt". In Österreich und Deutschland, in deren Kompetenz die Verfolgung dieser Verbrechen an eigenen Staatsbürgern fiel, gab es trotz der umfangreichen Beweisunterlagen nur wenige Prozesse in Zusammenhang mit dem Morden im KZ Guntramsdorf / Wiener Neudorf.



1957 getilgtes Urteil eines österreichischen Kriegsverbrechers
Quelle: nachkriegsjustiz.at


Laut Website des österreichischen Mauthausen Memorials hat es bis heute bei österreichischen Gerichten insgesamt fünf Prozesse (4 LG Wien, 1 LG Linz) in Zusammenhang mit den über 200 Morden im KZ-Außenlager Guntramsdorf / Wiener Neudorf gegeben. Selbst von diesen fünf Verfahren gab es nur in drei Fällen tatsächlich ein Urteil, zwei der Verfahren wurden eingestellt. Informationen zu diesen und anderen NS-Prozessen in Österreich hat die "Forschungsstelle Nachkriegsjustiz" in einem pdf-File zusammengefasst:

Justiz und Erinnerung



Mangelnde Aufarbeitung der NS-Vergangenheit

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Österreichs erfolgte nach dem Krieg generell nur sehr lückenhaft und widerwillig. Insgesamt fanden in Österreich seit 1955 - obwohl zwischen 4.000 und 5.000 Verfahren wegen NS-Verbrechen eingeleitet wurden - tatsächlich nur 35 NS-Prozesse statt. Lediglich 20 Personen wurden verurteilt. (Quelle: 2005.orf.at)

In manchen Fällen haben österreichische Geschworenengerichte selbst geständige (!) NS-Verbrecher freigesprochen. Mit einem solchen Freispruch des wegen Verbrechen im KZ Mauthausen angeklagten Johann Vinzenz Gogl am 2. Dezember 1975 endeten de facto die österreichische NS-Prozesse. Danach stellte das Justizministerium die noch laufenden Verfahren ein – manche Experten meinen, um weitere Freisprüche, die das Ansehen Österreichs schädigten, zu vermeiden.

Lange Zeit wollte nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung sondern auch das offizielle Österreich den Mythos aufrecht erhalten, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus war, mehr nicht. Es ist mittlerweile bekannt, dass viele Österreicher aktiv und besonders "engagiert" an Kriegsverbrechen und dem Holocaust beteiligt waren oder davon direkt profitiert haben.

Nach dem Krieg blieben die meisten von ihnen in Österreich nicht nur gerichtlich unbehelligt, viele Größen der NS-Zeit machten – oft mit Unterstützung der öffentlichen Hand und der politischen Parteien – später sogar außergewöhnliche Karrieren.

Ein sehr bekanntes Beispiel ist jenes des NS-Arztes Heinrich Gross. Er war als Arzt an der Ermordung von hunderten Kindern in der NS-Euthanasieklinik "Am Spiegelgrund" in Wien beteiligt. Während seine Kollegen vom Spiegelgrund unmittelbar nach dem Krieg zum Tod oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, war Gross damals in Kriegsgefangenschaft und für die Gerichte nicht greifbar. Als Gross wieder in Österreich war, wurden gegen ihn im Laufe von fünf Jahrzehnten mehrere Prozesse, die von überlebenden Spiegelgrund-Opfern angestrengt wurden, aus fadenscheinigen Gründen eingestellt. Statt einer Verurteilung wegen vielfachen Mordes und unzähligen Misshandlungen, wurde Gross mehrfach von der Republik Österreich ausgezeichnet. Er war jahrzehntelang als Wissenschaftler und viel beschäftigter Gerichtsgutachter tätig.

Gross forschte auch nach dem Krieg weiter an den in Formalin eingelegten Gehirnen seiner Mordopfer aus der NS-Zeit und publizierte und dozierte dazu ungeniert, bis es aus der Ärzteschaft 1979 (!) erstmals Proteste dagegen gab.

(Dr. Werner Vogt: "Sprechen Sie nicht über 'Tötungsdelikte VON geistig Behinderten' sondern über 'Tötungsdelikte AN geistig Behinderten' – darüber können Sie ja aus eigener Erfahrung berichten." Gross klagte Vogt darauf, dieser wurde jedoch freigesprochen, weil die "Anschuldigungen gegen Gross berechtigt seinen", so der Richter damals.)

Erst 1981 wurde Gross aus der SPÖ – die ihn jahrzehntelang unterstützt hat – ausgeschlossen. Noch bis 1998 war Gross weiterhin als Gerichtsgutachter tätig. Im Jahr 2003 wurde ihm, nachdem wieder ein Prozess gegen ihn eingestellt wurde – diesmal wegen angeblich fortschreitender Demenz, die er nach der Verfahrenseinstellung lakonisch kommentierte –, auch das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst durch die Bundesregierung aberkannt (siehe Artikel aus "Bizeps"). Gross starb im Dezember 2005 im Alter von 90 Jahren, ohne für seine Morde an zahlreichen unschuldigen Kindern verurteilt worden zu sein.

Auch einige Personen aus dem Umfeld des KZ Guntramsdorf / Wr. Neudorf, die an der Ausbeutung der KZ-Häflinge und Zwangsarbeiter direkt beteiligt waren, machten nach dem Krieg in der 2. Republik Karriere, anstatt für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden.

Ein Beispiel dafür ist die außergewöhnliche Laufbahn von Dipl. Ing. Walter Hitzinger (gest. 26. 7. 1975). Hitzinger war ab 1943, also ab dem Zeitpunkt der Errichtung des Konzentrationslagers vor Ort, Vorstandsmitglied der Flugmotorenwerke Ostmark in Wiener Neudorf (FOW). Sein Vorstandskollege Georg Meindl, der das KZ beim Reichsführer-SS Himmler quasi "bestellte", beging zu Kriegsende Selbstmord am Werksgelände (Anm.: von der Roten Armee bezweifelt, da die verbrannte Leiche nicht identifiziert werden konnte).

Walter Hitzinger arbeitet zuerst weiter als Manager für die eigentlichen Betreiber der Flugmotorenwerke, Steyr-Daimler-Puch, und gründete zusätzlich ein u. a. auf Luftfahrt-Equipment spezialisiertes, eigenes Unternehmen (www.hitzinger.at).

Er verschwieg seine Führungsrolle in der NS-Rüstungsindustrie und bei den Flugmotorenwerken Ostmark in seinem Lebenslauf nie. Hitzinger machte trotzdem, mit Unterstützung der politischen Entscheidungsträger, eine große Karriere und erhielt zahlreiche Auszeichnungen (Senator H.C., Baurat H.C. etc.). 1952 wurde Hitzinger zum Generaldirektor des damals bedeutendsten verstaatlichen Unternehmens, der VÖEST, ernannt. Von 1961 bis 1966 schloss sich der Kreis seiner beruflichen Laufbahn. Er wurde Vorstandsvorsitzender eines er größten deutschen Unternehmen, der Daimler-Benz AG in Stuttgart – übrigens ein Unternehmen, dass in der NS-Zeit direkt an den Flugmotorenwerken Ostmark beteiligt war.

Buchtipp dazu:

Reinhard Engel, Joana Radzyner:
Sklavenarbeit unterm Hakenkreuz
Die verdrängte Geschichte der Österreichischen Industrie
Deuticke, 1999, ISBN 3216304566, 250 Seiten, EUR 19,90

(Rezension der Zeitschrift "Falter")


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